Gelbe Jasminwurzel

Gelsemium sempervirens (L.) J.St.-Hil.

Harmlos sieht sie aus, die kleine Liane mit ihren wunderschönen gelben, duftenden Blüten und dem zarten immergrünen Laub. Aber Vorsicht, diese Pflanze sollte man nicht arglos als Zimmerpflanze halten. Denn schon der Verzehr einer einzelnen Blüte der Gelben Jasminwurzel kann lebensgefährlich sein. Im Botanischen Garten steht sie derzeit noch im Überwinterungshaus. Den Sommer darf sie in ihrem Topf im Freien verbringen, aber den Winter würde sie draußen kaum überleben. Denn ihre Heimat ist Guatemala, Mexiko und der Süden und Osten der USA, von Texas bis hinauf nach Virginia. Im Süden der USA ist sie nicht selten, sie wächst auf Brachflächen und in trockenen Wäldern, und sie wird als Zierpflanze in Gärten gepflanzt.

Obwohl die Gelbe Jasminwurzel bei uns kaum jemand kennt, dürfte der Name Gelsemium einigen geläufig sein. Denn Gelsemium-Präparate werden pharmazeutisch genutzt, und sie werden auch in der Homöopathie eingesetzt, etwa gegen Grippe oder bei Prüfungsangst. Ausgangsstoff für die Droge sind die verdickten Wurzeln der Pflanze. Diese enthalten neben stark giftigen Alkaloiden auch Bitterstoffe und wurden früher schon mal zur Geschmacksverbesserung von billigem Schnaps genutzt - zum Teil mit dramatischen Folgen. Der aus Wien stammende Naturforscher Viktor A. Reko berichtet 1933 in einer medizinischen Zeitschrift über so einen viel zitierten Fall. Viktor Reko war 1921 nach Mexiko übergesiedelt und interessierte sich dort vor allem für die halluzinogenen Pflanzen. Sein 1936 erschienenes Buch „Magische Gifte – Rausch- und Betäubungsmittel der Neuen Welt“ gilt als Pionierwerk auf diesem Gebiet. Reko schildert den Fall einer Gelsemium-Massenvergiftung, die sich 1932 in dem westmexikanischen Küstenort Topolobampo zugetragen haben soll. Nach dem Genuss von Alkohol, der mit Gelsemiumwurzel versetzt war, seien innerhalb weniger Stunden 32 Personen gestorben, weitere 100 Personen seien davon über Wochen schwer krank gewesen. Die Gelsemium-Alkaloide können schon in geringer Dosis durch Atemlähmung zum Tod führen.

Das gilt nicht nur für die amerikanische Jasminwurzel. Die Gattung Gelsemium umfasst insgesamt drei Arten, von denen eine in Südostasien und zwei im Südosten Nordamerikas und in Mittelamerika vorkommen. Alle drei enthalten die hochgiftigen Alkaloide. Die asiatische Art, Gelsemium elegans, gilt als die gefährlichste. Ihrer Verwendung werden noch immer viele Vergiftungen mit Todesfolge zugeschrieben. Als Zierpflanze stellt die Gelbe Jasminwurzel zwar auch außerhalb ihrer Heimat eine potenzielle Gefahr dar. Allerdings sind versehentliche, schwerwiegende Vergiftungsfälle mit Pflanzen sehr selten. Auch in unseren heimischen Gärten gibt es ja viele Giftpflanzen, man denke nur an die Eibe oder den Eisenhut, die ohne Warnhinweise in jedem Pflanzencenter verkauft werden.

Die Gattung Gelsemium wurde lange in der Familie der Brechnussgewächse (Loganiaceae) geführt, die bekanntlich nicht arm an Giftpflanzen ist. Die berüchtigte Brechnuss (Strychnos nux-vomica), von der das starke Pflanzengift Strychnin stammt, gehört in diese Gruppe. Seit einigen Jahren wird Gelsemium nun zusammen mit der Gattung Mostuea aufgrund von Ergebnissen aus DNA-Untersuchungen in einer eigenen Familie, den Jasminwurzelgewächsen (Gelsemiaceae), klassifiziert. Sie sind eng verwandt mit den Brechnussgewächsen, Rötegewächsen (Rubiaceae), Enziangewächsen (Gentianaceae) und den Hundsgiftgewächsen (Apocynaceae). Eine illustre Gesellschaft mit zum Teil drastischen Giften und entsprechend langem Vorstrafenregister.

Systematik: Jasminwurzelgewächse (Gelsemiaceae)
Heimat: Mittelamerika und südliche USA
Standort: Kalthaus (Gewächshaus-19)

Literatur
Austin, D.F. (2004). Florida Ethnobotany. CRC Press.
Jiao, Z. & J. Li (2007). Phylogeny of intercontinental disjunct Gelsemiaceae inferred from chloroplast and nuclear DNA Sequences. Systematic Botany 32(2): 617-627.
Lai, Chi-Kong & Yan-Wo Chan (2009). Confirmation of Gelsemium poisoning by targeted analysis of toxic Gelsemium alkaloids in urine. Journal of Analytical Toxicology 33(1): 56-61.
Reko, V.A. (1933). Gelsemiumvergiftungen. International Journal of Legal Medicine 21(1): 9-14.
Reko, V.A. (1949). Magische Gifte. Rausch- und Betäubungsmittel der Neuen Welt. 3. Auflage. Verlag Enke, Stuttgart.

Text und Fotos: Dr. Ralf Omlor | 26.03.2012