Der Mainzer Sand ist ein Naturschutzgebiet im Nordwesten der Stadt Mainz, dessen Pflanzenwelt als Relikt der nacheiszeitlichen Steppenlandschaften gilt, die vor 9.000 Jahren weite Teile Mitteleuropas bedeckten. Es ist das einzige Gebiet in Mitteleuropa, das diesen Charakter durch besondere lokale Gegebenheiten bewahrt hat, und ist daher von überregionaler Bedeutung.
In der Spätphase der letzten Eiszeit vor etwa 18.000 Jahren herrschte in Rheinhessen ein trockenkaltes Klima, das nur eine spärliche Vegetation, wie man sie heute in der Tundra findet, zuließ. Durch den fehlenden Bewuchs und die Trockenheit wurden in dieser Zeit große Mengen kalkhaltiger Sande, die der Rhein in seinem Bett abgelagert hatte, vom Wind an die Nordhänge des Rheinhessischen Plateaus transportiert. Dieser Prozess hielt mit Unterbrechungen bis vor etwa 10.000 Jahren an und ließ zwischen Ingelheim und Mainz ein ausgedehntes Sand- und Dünengebiet entstehen, das sich im Süden bis Darmstadt und Heidelberg fortsetzte.
Mit der allmählichen Klimaerwärmung zum Ende der Eiszeit wanderte vor ungefähr 12.000 Jahren die Kiefer (Pinus sylvestris) als erste Baumart wieder bei uns ein. Nach dem Ende der Eiszeit vor 10.000 Jahren folgte eine Periode mit trockenen, warmen Sommern und kalten Wintern. In dieser Zeit breiteten sich Steppenpflanzen aus Südosteuropa und Westasien bis weit nach Mitteleuropa aus. Mit weiterer Erwärmung folgten Pflanzen aus dem Mittelmeergebiet. Dann wurde vor etwa 8.000 Jahren das Klima feuchter, wodurch weitere Baumarten nach Mitteleuropa zurückkehren konnten. Es entstanden zunächst Eichen-Mischwälder, bis vor etwa 5.000 Jahren die Rotbuche (Fagus sylvatica) hinzukam und zur dominierenden Baumart wurde. Mit der Bewaldung wurden die Steppenpflanzen aus Mitteleuropa verdrängt. Nur an ganz wenigen Standorten konnten sie überdauern.
In den Sandgebieten zwischen Mainz und Ingelheim ermöglichten zwei Faktoren den Fortbestand der Steppenrasen: Auf sandigen Böden, die wenig Wasser speichern, verhinderte das trockenwarme Klima das Wachstum der meisten Baumarten. Hinzu kam, dass der Mensch lange Zeit durch eine extensive Beweidung die Sandflächen offen hielt. Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges wurde das Gebiet des Mainzer Sandes zudem als militärisches Übungsgelände genutzt. Auch diese Aktivitäten verhinderten, dass auf den Sandflächen ein geschlossener Pflanzenbewuchs entstand. Heute sind umfangreiche Pflegemaßnahmen erforderlich, die überwiegend von ehrenamtlichen Helfern durchgeführt werden, um die Steppenvegetation zu erhalten. Seit 2002 beteiligt sich der Botanische Garten einmal jährlich an diesen Pflegemaßnahmen im Naturschutzgebiet.
Auf dem Mainzer Sand haben sich neben osteuropäischen Steppenpflanzen, wie den Federgräsern (Stipa capillata und Stipa joannis), dem Sand-Lotwurz (Onosma arenaria) oder dem Büschel-Gipskraut (Gypsophila fastigiate), auch Pflanzen erhalten, die aus dem Mittelmeergebiet eingewandert waren. Darunter der Blaugrüne Faserschirm (Trinia glauca), das Nadelröschen (Fumana procumbens) oder der Feld-Mannstreu (Eryngium campestre). Diese Kombination aus mediterranen und kontinentalen Florenelementen findet man nur auf dem Mainzer Sand.
Der Botanische Garten der Johannes Gutenberg-Universität unterhält seit seiner Gründungszeit eine Schauanlage, auf der die Pflanzen des Mainzer Sandes gezeigt und untersucht werden können. Diese Anlage war zunächst gegenüber dem Alpinum an der heutigen Einfahrt zum Bentzel-Weg untergebracht. 1982 konnte bei der Erweiterung des Botanischen Gartens eine große Nachbildung des Mainzer Sandes neu angelegt werden. Der Sand für diese Nachbildung stammte aus der Grube der Budenheimer Glashütte im Gonsenheimer Wald. Im Zuge der Umgestaltung des Botanischen Gartens wurde die Nachbildung des Mainzer Sandes im April 2006 in den Kernbereich des Gartens verlagert.
Die zum Teil sehr seltenen Pflanzen des Mainzer Sandes können im Botanischen Garten vermehrt und bewahrt werden. Durch sein hohes Besucheraufkommen aus allen Alters- und Bevölkerungsgruppen ist der Botanische Garten ein idealer Ort, um das Bewusstsein für die Bedeutung dieses Naturschutzgebietes zu stärken.
Literatur zum Mainzer Sand (Auswahl):
Brünning, H. (1975). Paläogeographisch-ökologische und quartärmorphologische Aspekte im nördlichen und nordöstlichen Mainzer Becken. Mainzer Naturw. Arch. 14: 5-91.
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Fischer, E. (1987). Die Moosvegetation des Naturschutzgebietes „Mainzer Sand“. Mainzer Naturw. Arch. 25: 73-84.
Hausner, G. (1987). Die Pilze im Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“. Mainzer Naturw. Arch. 25: 39-57.
Hecker, U. (1987). Die Farn- und Blütenpflanzen des Mainzer Sandes. Mainzer Naturw. Arch. 25: 85-133.
Jännicke, W. (1892). Die Sandflora von Mainz, ein Relict aus der Steppenzeit. Gebr. Knauer, Frankfurt am Main.
Korneck, D. (1974). Xerothermvegetation in Rheinland-Pfalz und Nachbargebieten. Schriftenreihe Vegetationskunde 7. Bonn Bad-Godesberg.
Korneck, D. (1987). Pflanzengesellschaften des Mainzer Sandes. Mainzer Naturw. Arch. 25: 135-200.
Reichenau, W. v. (1882). Zur Physiognomie des Mainzer Sandes. Jahrbuch des Nassauischen Vereins für Naturkunde, Wiesbaden 35: 32-61.
Text: Dr. Ralf Omlor