Geschlossene und geöffnete Staubbeutel mit gelben Pollenkörnern.
Agave filifera Salm-Dyck
Von Pflanzen erwarten wir vor allem eins: Sie sollen blühen, und zwar möglichst lange, in schicken Farben, und wenn’s irgendwie geht, sollen sie auch angenehm duften. Viele Pflanzen können das; na gut, oft erst nach etwas züchterischer Nachhilfe. Aber es gibt auch Pflanzen, die sich hartnäckig weigern zu blühen, manchmal jahrzehntelang. Wenn sie dann nach vielen Jahren endlich doch einen Blütenstand bilden, ist es oft ein spektakuläres Ereignis, das sich über Wochen hinzieht. Danach sterben diese Pflanzen meist ab, völlig erschöpft, nachdem sie alle Ressourcen in die Blüten und die sich daraus entwickelten Früchte gesteckt haben. Zu diesen vegetabilen Schläfern, die ein halbes Gärtnerleben unauffällig und anspruchslos in Ihrem Topf verbringen, dann aber ein Blühfeuerwerk abbrennen, das man ihnen nie im Leben zugetraut hätte, zählt die Faden-Agave.
Der Blütenstand der Faden-Agave hat in diesem Sommer innerhalb weniger Wochen eine Höhe von 3,5 m erreicht. Während der Blütenstand an der Spitze noch wächst, erblühen bereits die unteren Knospen. Der blühende Bereich ist am gelben Pollen der geöffneten Staubbeutel erkennbar und wandert wie die Funken einer brennenden Lunte langsam am Blütenstand nach oben bis zur Spitze. Zunächst sind die Blüten funktional männlich. Erst nachdem die Staubblätter schlaff herabhängen, streckt sich der Griffel mit der Narbe, und die Blüte kann bestäubt werden. So wird eine Selbstbestäubung innerhalb der einzelnen Blüten verhindert.
Blühende Agaven sind in Mitteleuropa selten und meist nur in Botanischen Gärten zu sehen. Dabei ist ihre Kultur nicht schwierig. Nur müssen die meisten Arten im Gewächshaus überwintert werden, und man braucht viel Geduld. Die ersten Vertreter dieser überwiegend in Mexiko beheimateten Pflanzengattung gelangten bereits Mitte des 16. Jahrhunderts nach Europa. Zunächst wurde nur die sehr große Agave americana - die Hundertjährige Agave - kultiviert. Im Mittelmeergebiet ist sie längst verwildert und zu einer invasiven Art geworden. Anders als der Name vermuten lässt, dauert es aber keine hundert Jahre bis zur Blüte, sondern bei guten Bedingungen "nur" etwa 20 Jahre. Die ersten blühenden Agaven waren daher große Sensationen, die mit Druckschriften, Abbildungen und Münzprägungen gewürdigt wurden. Anders als die Hundertjährige Agave ist unsere Faden-Agave eine handliche Pflanze, die an den faserigen Blatträndern leicht zu erkennen ist. Die Blattrosette der ausgewachsenen Pflanze misst nur etwa 60 cm im Durchmesser. Erstmals beschrieben wurde sie im Jahr 1834 von Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck. Der Fürst, der auf Schloss Dyck bei Düsseldorf zu Hause war, war ein großer Pflanzennarr. Er sammelte vor allem sukkulente Pflanzen und hat viele Arten erstmals wissenschaftlich beschrieben und benannt. Von seiner Faden-Agave hat er allerdings nur die Blattrosette beschrieben, zur Blüte ist sie im Schloss wohl nicht gelangt.
Systematik: Agavengewächse (Agavaceae); Agave Untergattung Littaea
Heimat: Mexiko
Standort: vor dem Sukkulentenhaus
Literatur:
Eggli, U. (2001). Sukkulentenlexikon, Band 1 (Einkeimblättrige Pflanzen). Ulmer, Stuttgart.
Kraus, H.-D. (2003). „Kaiserkron und Päonienrot ...“ Entdeckung und Einführung unserer Gartenblumen. Dölling und Galitz, München - Hamburg.
Salm-Reifferscheidt-Dyck, J. (1834). Hortus Dyckensis: oder Verzeichnis der in dem botanischen Garten zu Dyck wachsenden Pflanzen. Arnz & Comp., Düsseldorf.
Text und Fotos: Dr. Ralf Omlor | 20.08.2010