Heilwurz

Etwa 1,8 m misst der Blütenstand der Heilwurz im Botanischen Garten

Opopanax chironium (L.) W.D.J.Koch

Unter falschem Namen lebte sie jahrelang unbehelligt zwischen all den anderen Doldenblütlern in der Systematischen Abteilung des Botanischen Gartens. Niemand ahnte, dass sich hinter dem Pseudonym „Conioselinum chinense“ eine der mysteriösesten Heilpflanzen des Altertums verbarg. Nun hat ein Zufall ihre wahre Identität ans Licht gebracht: Nach vielen vergeblichen Versuchen war es uns endlich gelungen, die lange gesuchte Heilwurz (Opopanax chironium) aus Samen heranzuziehen. Als die neuen Pflanzen nun erstmals blühten, sahen sie aber genauso aus wie die großen Stauden, die seit langem als Conioselinum etikettiert waren. Die Überprüfung ließ dann keinen Zweifel, bei beiden Pflanzen handelt es sich um die rätselhafte Heilwurz.

Dabei gab es gar keinen Grund, sich hinter einer falschen Identität zu verbergen. Denn die Zeiten, in denen die Heilwurz Gefahr lief, abgeschnitten zu werden, um an ihr kostbares Harz zu gelangen, sind längst vorbei. Heute wird die Heilwurz, wenn überhaupt, nur noch in sehr geringem Umfang zur Gewinnung von Duftstoffen genutzt. Opopanax, das klingt ein wenig wie Ohrenstöpsel für die Nacht. Altsprachler und Kenner der griechischen Mythologie haben beim Klang dieses Namens aber ganz andere Assoziationen. In der Antike verstand man unter ‚panax‘ oder ‚panacea‘ ein ideales Universalheilmittel gegen alle denkbaren Krankheiten. ‚Opo-panax‘ bedeutet, ein Wunderheilmittel in Form eines Pflanzensaftes (‚opós‘) oder Harzes. Auch der Artname chironium ist ein Hinweis auf die Heilwirkung der Pflanze, denn er bezieht sich auf ‚Cheiron‘, den bekanntestes Kentauren der griechischen Mythologie - halb Mensch, halb Pferd und in der Heilkunst besonders erfahren. Und dennoch findet sich die Heilwurz in kaum einem Kräuterbuch. Nur wenige Quellen geben eine konkrete medizinische Anwendung, etwa als krampflösendes Mittel an. Liegt vielleicht auch hier eine Verwechslung vor?

Harze, da denkt man zunächst natürlich an Nadelbäume, aber es gibt Harze auch in vielen anderen Pflanzengruppen. Ganz allgemein versteht man unter Harzen zähflüssige und klebrige Pflanzensäfte, die entweder Terpene oder phenolische Verbindungen und oft auch ätherische Öle enthalten. Sie dienen den Pflanzen in erster Linie als Wundverschluss und zur Abwehr von Schädlingen und Pathogenen. Der Mensch nutzt Pflanzenharze seit Urzeiten als Rohstoff, etwa zur Herstellung von Pech, als Räuchermittel, Duftstoff oder als Heilmittel. Die Harze der Doldenblütler sind allesamt Gummiharze, die neben phenolischen Verbindungen auch Polysaccharide enthalten. Zur Gewinnung des Harzes werden der dicke Wurzelstock oder der untere Abschnitt des Stängels der Heilwurz angeschnitten. Das austretende weiße Harz trocknet an der Luft und verfärbt sich dabei gelblichbraun. Es wird in Klumpen abgesammelt. Auf diese Weise werden auch von einigen anderen Doldenblütlern, vor allem von den großen Steckenkraut-Arten (etwa von Ferula asa-foetida) Harze gesammelt, die medizinisch oder als Gewürz verwendet werden.

Die Heilwurz ist von Spanien über Südfrankreich, Italien, bis nach Rumänien, Bulgarien und den europäischen Teil der Türkei heimisch. Sie wächst vor allem im Saum von Gebüschen auf steinigen, kalkhaltigen Böden. In den antiken Zentren im östlichen Mittelmeergebiet und in Nordafrika kommt die Heilwurz dagegen nicht vor. Dennoch kannte man auch dort ein wertvolles Harz mit dem Namen ‚Opopanax‘, das allerdings von Commiphora erythraea, einer Verwandten des Weihrauchbaumes stammte. Bis heute ist daher nicht ganz klar, welche Pflanze die antiken Autoren jeweils meinten, wenn Sie von ihrem harzigen Wunderheilmittel berichten. Mag also sein, dass die Heilwurzel im 19. Jh. von Wilhelm Koch zu Unrecht den botanischen Namen Opopanax erhalten hat. Wie auch immer, es ist seither ihr wissenschaftlich gültiger Name, und wenigstens von uns wird sie in Zukunft nicht mehr verwechselt werden.

Systematik: Doldenblütler (Apiaceae)
Heimat: Von Spanien über Südfrankreich, Italien bis SO-Rumänien, Bulgarien und W-Türkei Standort: Systematische Abteilung, Beet 34

Literatur
Genaust, H. (2005). Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. Nikol – Hamburg.
Hegi, G. (1965). Flora von Mitteleuropa, Band V/2: 1359-1362. Hanser – München.
Langenheim, J.H. (2003). Plant Resins. Chemistry, Evolution, Ecology, and Ethnobotany. Timber Press – Portland, Cambridge.
Reduron, J.P. (2008). Ombellifères de France 4: 1888-1897. Bulletin de la Société Botanique du Centre-Ouest, Nouvelle Série, Numéro Special 29. Jarnac.

Text und Fotos: Dr. Ralf Omlor | 06.07.2012

(Opopanax-Harz: Leihgabe Prof. Dr. Walter Sachsse, Mainz)