Erst nach Jahren bilden sich die ersten
aufrechten Stämme. Links daneben
die eng verwandte Alluaudia procera.
Didierea trollii Capuron & Rauh
Pflanzenliebhaber kennen das. Oft dauert es Jahre, bis man eine gesuchte Pflanze endlich bekommen kann. Dann beginnt das Bangen, ob sie im eigenen Garten oder Gewächshaus gedeihen wird. Und dann das Warten, das geduldige, manchmal endlose Warten auf die erste Blüte. Und was nicht alles passieren kann in dieser langen Zeit, in der einmal zu viel oder zu wenig gegossen vielleicht schon das Ende der heiklen Pflanze bedeuten kann. Im Botanischen Garten der Universität Mainz blüht nun so eine Pflanze. Sie heißt Didierea trollii und stammt aus den Dornbusch-Wäldern im Südwesten Madagaskars. In diesen bizarren Wäldern, die zu den ungewöhnlichsten Vegetationsformen der Erde gehören, sind 95% der Pflanzenarten Endemiten. Sie kommen also nirgendwo sonst vor. Unsere Didierea wurde vor 16 Jahren im Sukkulenten-Gewächshaus ausgepflanzt und war davor schon viele Jahre als Topfpflanze in Kultur. Im vergangenen Jahr wurde rund um die Didierea das Substrat ausgetaucht und das Beet neu bepflanzt. Das hat ihr offenbar gut getan, denn nun blüht sie zum ersten Mal.
Es gibt keinen deutschen Namen für diese eigenartige Didierea, die 1959 von dem Botaniker Werner Rauh (1913-2000) erstmals im Südwesten Madagaskars gesammelt wurde. Rauh war Professor für Botanik und Leiter des Botanischen Gartens an der Universität Heidelberg. Er unternahm 36 große Expeditionen, vorwiegend in Mittel- und Südamerika, aber auch mehrfach in Madagaskar, und sammelte in seinem Leben mehr als 30.000 Pflanzen. Viele seiner Aufsammlungen erwiesen sich als unbekannte Arten, die von ihm neu beschrieben wurden. Eine dieser neuen Pflanzenarten war Didierea trollii, die er nach seinem Kollegen Wilhelm Troll (1897-1978) benannt hat. Bei ihm hatte Rauh 1937 in Halle promoviert. Seit 1946 war Wilhelm Troll Professor für Botanik an der Universität Mainz und hatte den Mainzer Botanischen Garten gegründet. In den Anfangsjahren hat der Mainzer Botanische Garten viele Pflanzen aus dem bedeutend älteren Garten der Universität Heidelberg erhalten. Wann genau die Didierea aus Heidelberg zu uns kam, ist leider nicht bekannt.
Doch zurück zu unserer Pflanze. Didierea trollii kommt in Madagaskar nur in einem relativ schmalen Küstenstreifen im äußersten Südwesten der Insel vor. Das Wachstum der Pflanze ist sehr ungewöhnlich. Zunächst bildet sie für mehrere Jahre nur flach auf dem Boden liegende Zweige. Wenn sie so einen Durchmesser von etwa zwei Metern erreicht hat, werden die ersten aufrechten Zweige gebildet, die zunächst nicht sehr hoch werden und an der Spitze überhängen. Nach weiteren Jahren wachsen schließlich einige kräftigere aufrechte Stämme, die sich verzweigen und horizontale, leicht überhängende Äste bilden. Der Kranz von Zweigen am Boden stirbt dann nach und nach ab. In der langen Trockenzeit verliert die Didierea sämtliche Blätter, aber mit Beginn der Regenzeit werden diese von den bedornten Kursprossen neu gebildet. Auch die Blüten entstehen an diesen Kurzsprossen und zwar in so großer Zahl, dass sie ganze Zweigabschnitte bedecken.
Im Südwesten Madagaskars gibt es noch eine zweite Didierea-Art (D. madagascariensis) und dann noch drei weitere ähnliche Gattungen, insgesamt 11 eng verwandte Arten. Diese Pflanzen werden seit langem in der Familie der Didiereaceae zusammengefasst. Lange hielt man diese Pflanzenfamilie für eine rein madagassische Gruppe. Inzwischen weiß man, dass die Didiereaceae mit den Kakteen (Cactaceae) und den Portulakgewächsen (Portulacaceae) verwandt sind. Die Familie der Portulakgewächse wird heute sehr eng gefasst, und drei ihrer Gattungen, darunter der aus Südafrika stammende Speckbaum (Portulacaria afra), werden inzwischen zu den Didiereaceae gezählt.
Die wissenschafltiche Systematik mag für den Pflanzenliebhaber nicht so entscheidend sein. Für ihn beginnt nach der lange ersehnten Blüte die Hoffnung auf eine reiche Samenernte, die den Grundstock für eine erfolgreiche Vermehrung der seltenen Pflanze legen könnte. Uns bleibt diese Hoffnung verwehrt, denn Didierea trollii ist eine zweihäusige Pflanzenart. Nur wenn eine männliche und eine weibliche Pflanze gleichzeitig blühen, kann es zur Bestäubung und schließlich zur Bildung von Samen kommen. Unser Exemplar ist eine männliche Pflanze. Wo sollen wir jetzt eine weibliche Didierea auftreiben? Und würde sie gedeihen in unserem Gewächshaus? Wann würde sie zum ersten Mal blühen? Wäre die männliche Pflanze dann noch am Leben? Wer hierauf im Voraus Antworten braucht, sollte besser kein Pflanzenliebhaber werden.
Systematik: Didiereaceae
Heimat: Im Südwesten Madagaskars
Standort: Sukkulenten-Gewächshaus (Haus-20)
Literatur
Koechlin, J., J.-L. Guillaumet, P. Morat (1974). Flore et Végétation de Madagascar. Cramer, Vaduz.
Nyffeler, R. et U. Eggli (2010). Disintegrating Portulacaceae: A new familial classification of the suborder Portulacineae (Caryophyllales) based on molecular and morphological data. Taxon 59(1): 227‑240.
Rauh, W. (1963). Didiereaceae. Flore de Madagascar, Fam. 121.
Links
Projekt „Wissenschaftliches Erbe Werner Rauh“ der Universität Heidelberg
Text und Fotos: Dr. Ralf Omlor | 10.05.2013