Tod einer Japanischen Walnuss

Wer in den vergangenen Wochen durch den Botanischen Garten spaziert ist, hat es vielleicht schon gesehen. Ein weiterer großer Baum stirbt ab. In den letzten Jahren sind bereits die Indische Rosskastanie (2019), einer der vier großen Urweltmammutbäume (2018) und die Japanische Zelkowe (2017) eingegangen. Nun hat es die Japanische Walnuss erwischt. Die Krone dieses eindrucksvollen Baums in der südwestlichen Ecke des Arboretums ist zur Hälfte kahl. Mehrere starke Äste sind tot, und der Stamm zeigt Leckstellen, aus denen Saft austritt. Was ist hier los? Warum sterben im Botanischen Garten auf einmal so viele Bäume? Ist das der natürliche Alterungsprozess? Oder eine Epidemie, ausgelöst durch Pilze, Insekten, Mikroorgansimen? Oder doch der Klimawandel, in dessen Folge noch ganz andere Veränderungen auf uns zukommen werden? Die Schäden an den Bäumen im Arboretum sind auffällig, aber die Ursachen sind nicht leicht zu benennen. Wahrscheinlich spielen alle drei Faktoren eine Rolle.

Beginnen wir mit dem Alter. Das Arboretum des Botanischen Gartens ist 1950 angelegt worden. Das genaue Alter der Japanischen Walnuss (Juglans ailantifolia) – unter diesem Namen läuft sie aktuell bei uns – ist aber nicht dokumentiert. Sie taucht zum ersten Mal 1965 in einem Gehölzverzeichnis unter dem Namen Juglans mandshurica auf. Vermutlich ist sie aber bereits in der ersten Hälfte der 1950er Jahre als sehr kleiner Baum oder Sämling gepflanzt worden. Die Samen hatte man wahrscheinlich über den Saatguttausch mit anderen Botanischen Gärten erhalten. Unsere Japanische Walnuss ist also höchstens 70 Jahre alt, das ist eigentlich kein Alter für einen Baum. Oder doch?

Für eine Eiche oder Linde wäre das definitiv nicht alt. Walnussbäume erreichen aber selten ein sehr hohes Alter. Und für eine in Mainz gepflanzte Japanische Walnuss gelten besondere Umstände. Denn diese Baumart stammt aus einem feuchteren Klima. Bei uns steht sie an einer sehr sonnigen und trockenen Ecke des Gartens. Durch den fruchtbaren Lössboden im Botanischen Garten und durch das milde Klima ist sie sehr schnell gewachsen. So hat der Stamm in Brusthöhe jetzt einen Umfang von 256 cm. Es ist damit eines der größten Exemplare dieser Baumart in Deutschland (vgl. Rekordbäume, Deutsche Dendrologische Gesellschaft). Aber durch das schnelle Wachstum und durch wiederholten Trockenstress kann sie bei uns auch früher als an ihren natürlichen Standorten üblich in die Altersphase eingetreten sein.

Schauen wir noch etwas genauer auf die Japanische Walnuss. Sie unterscheidet sich von der wirtschaftlich bedeutenderen Echten Walnuss (J. regia) nur geringfügig durch eine etwas höhere Zahl der Blattfiedern, die zudem leicht behaart sind, durch ein etwas anderes Aroma der Blätter und durch die zugespitzten Steinkerne („Nuss“) der Frucht. Nach den Angaben in der Flora of Japan (Ohwi 1965) ist sie eine sehr variable Baumart, die auf allen vier Hauptinseln Japans beheimatet ist. Das ist bemerkenswert, denn Japans Vegetation reicht von subtropischen, immergrünen Wäldern im Süden bis zu borealen Nadelwäldern im Norden. Es gibt auch Interpretationen, nach denen das Verbreitungsgebiet im Norden sogar noch die russische Insel Sachalin und die Kurilen-Inseln umfasst. Hauptgrund für diese Unsicherheit ist die unklare Abgrenzung der Japanischen Walnuss von der in Ostasien viel weiter verbreiteten Mandschurischen Walnuss (J. mandshurica). Möglicherweise handelt es sich bei der Japanischen Walnuss nicht um eine eigene Art, sondern lediglich um eine geografische Varietät der Mandschurischen Walnuss. Da wir nicht wissen, woher das Exemplar im Botanischen Garten ursprünglich stammt, ist also gar nicht so klar, worüber wir hier überhaupt reden. Das ist nicht ungewöhnlich bei Gartenpflanzen unklarer Herkunft. Im Fall der Walnuss-Arten kommt noch hinzu, dass diese in Kultur leicht hybridisieren können.

Nehmen wir mal an, das Exemplar im Botanischen Garten ginge auf eine Aufsammlung irgendwo in Japan zurück. Der durchschnitte Jahresniederschlag in Japan beträgt etwa 1.740 mm. Wobei die Werte von 800 mm in den trockensten Regionen bis zu mehr als 3.000 mm in den regenreichsten Gebieten Japans reichen (Numata 1974). In Mainz fielen in den letzten zehn Jahren dagegen jährlich nur zwischen etwa 340 und 600 mm Niederschlag (Daten der Wetterstation des Instituts für Physik der Atmosphäre der Universität Mainz). Typische Standorte der Walnussbäume in Japan und Ostasien sind Mischwälder an Berghängen in Höhen zwischen 500 und 2.500 m, häufig auch in Bergtälern entlang von Bach- oder Flussläufen. Demnach wäre der Standort im Botanischen Garten – auch wenn hier regelmäßig und viel bewässert wird – eigentlich viel zu trocken für diese Baumart. Die langen Hitze- und Trockenphasen der vergangenen Jahre haben der Japanischen Walnuss definitiv nicht gut getan.

Bereits vor zwei Jahren war bei der jährlichen Baumkontrolle eine Schwächung der Vitalität dieses Baumes vermerkt worden. Zudem deutliche Schäden an der Krone mit Pilzbefall an drei Stellen in 5-7 m Höhe und erhebliche Schäden am Stamm. Die nun eingetretene Verschlechterung des Zustands kam also nicht überraschend für uns. In der Natur kann ein Baum in der Altersphase, in der er sich unsere Walnuss nun befindet, noch Jahrzehnte leben. Zwar wird die Krone lichter und einzelne Partien sterben ab, aber untere Kronenteile können noch lange vital bleiben und die Versorgung übernehmen. Die abgestorbenen Äste werden ökologisch nun sehr interessant. Sie werden von Pilzen und holzbewohnenden Insekten besiedelt. Im öffentlichen Raum jedoch, in dem hohe Auflagen für die Verkehrssicherheit von Bäumen gelten, bedeutet der jetzige Zustand meist das baldige Ende. Schon die nächste Untersuchung durch den für das Universitätsgelände und den Botanischen Garten beauftragten Sachverständigen für die Baumkontrolle kann die Anordnung zur Fällung bedeuten.

Es ist also absehbar, dass wir die Japanische Walnuss verlieren werden. Und es werden in den nächsten Jahren weitere große Bäume folgen, das zeichnet sich bei den regelmäßigen Vitalitätsbeurteilungen bereits ab. Was bedeutet das für die Zukunft des Arboretums, das in diesem Jahre 70 Jahre alt geworden ist? Zum einen muss man hinterfragen, welche Baumarten man zukünftig bei Neupflanzungen noch verwenden kann. Der hohe Anteil von Gehölzen aus regenreichen Regionen in China und Japan wird sicher abnehmen müssen. Bei den alten, teilweise oder ganz abgestorbenen Bäumen wäre es dagegen wichtig, sie so lange wie möglich zu erhalten, auch wenn sie dem ästhetischen Verlangen nach einem perfekt gepflegten Park nicht entsprechen. Erste Ansätze dazu hat es in den vergangenen Jahren gegeben. So wurde der Stamm des vollständig abgestorbenen Urweltmammutbaums, in dem sich mehrere Spechthöhlen befinden, nur gekappt. Er soll, so lange es die Verkehrssicherheit erlaubt, auch weiter stehen bleiben. An das Bild abgestorbener Bäume wird man sich wohl ohnehin auch bei uns gewöhnen müssen.

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Literatur

Numata, M., ed. (1974). The Flora and Vegetation of Japan. Kodansha Scientific Books, Tokyo. Elsevier, Amsterdam, London, New York.

Ohwi, J. (1965). Flora of Japan. Smithsonian Institution, Washington D.C.

Roloff, A. (2018). Vitalitätsbeurteilung von Bäumen. Aktueller Stand und Weiterentwicklung. Haymarket Media. Braunschweig.

 

Text und Foto: Ralf Omlor, 03.07.2020

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