Die Erfindung des Arboretums

Das Arboretum im Botanischen Garten der Universität Mainz ist im vergangenen Jahr 70 Jahre alt geworden. Nun soll es in den kommenden Wochen drei große Infotafeln erhalten, auf denen drei Themenaspekte erläutert werden: 1) was ist ein Arboretum, 2) was ist ein Baum und 3) was sind die Besonderheiten des Mainzer Arboretums. Die erste Frage – was ist ein Arboretum – schien bei der Vorbereitung der Texte zunächst relativ einfach. Als Arboretum bezeichnet man eine nach wissenschaftlichen Kriterien angelegte und möglichst umfangreiche Sammlung der Bäume und Sträucher, die am gegebenen Standort dauerhaft im Freien gepflanzt werden können. Es dient der Forschung, Lehre und Bildung und idealerweise auch dem Erhalt gefährdeter Arten.

Im Laufe der Recherche, seit wann der Begriff Arboretum gebräuchlich ist und welches die ältesten Arboreten sind, wurde die Angelegenheit dann aber überraschend komplex. Gärten mit einem Fokus auf heimische und fremdländische Baum- und Straucharten gibt es schon sehr lange. Große Gehölzsammlungen gingen dann zunächst auf die Sammelleidenschaft einiger vermögender Fürsten zurück, die damit auch ihre Weltgewandtheit zum Ausdruck brachten. Frühe und heute noch erhaltene Beispiele in Deutschland sind der 1777 angelegte Baumgarten des Kurfürsten Carl Theodor im Schlosspark Schwetzingen und die 1779 begonnene Sammlung exotischer Gehölze des Herzogs Carl Eugen von Württemberg in Hohenheim (heute Landesarboretum Baden-Württemberg).

Für unsere Frage interessant ist vor allem die Entwicklung im Schlosspark Schwetzingen. Dort wurde wahrscheinlich zum allerersten Mal der Begriff Arboretum in der oben genannten Bedeutung gebraucht. 1777 gestaltete der damals 27 jährige Gartenarchitekt Friedrich Ludwig Sckell (ab 1804 von Sckell) im Schwetzinger Schlosspark einen Gartenbereich im neuen Stil eines englischen Landschaftsgartens und verwendete dafür eine große Lieferung ausländischer Bäume, die er während einer Studienreise in England im Auftrage des Kurfürsten eingekauft hatte. Der von Kanälen durchzogene und wie ein Landschaftsgemälde gestaltete Garten wird nach seinem Auftraggeber, dem Kurfürsten Carl Theodor, Arborium Theodoricum genannt. In einer Bestandsaufnahme der Bauten und Gärten der Schwetzinger Sommerresidenz (Protocollum commissionale) bezeichnet Sckell die Anlage 1795 als Englischen Garten und erstmals auch als Arboretum.

Friedrich Ludwig Sckell wurde in der Folge zu einem der bedeutendsten Gartengestalter seiner Zeit. Zu seinen Hauptwerken zählen der Englische Garten und der Schlosspark Nymphenburg in München. Aber auch der Schlosspark Biebrich und der Park Schönbusch in Aschaffenburg gehen in ihrer heutigen Gestaltung auf ihn zurück. Ein weiteres explizites Arboretum hat Friedrich Ludwig von Sckell aber nicht mehr geplant, und auch in seinen gartentheoretischen Schriften geht er auf die Idee des Arboretums nicht weiter ein.

Im Jahr 1804 ließ der Nachfolger Carl Theodors, Großherzog Karl Friedrich von Baden, direkt im Anschluss an das Arborium dann noch ein weiteres Arboretum anlegen. Verantwortlich für den Aufbau war der neue Gartendirektor Johann Michael Zeyher, der zuvor unter anderem in Basel als Hofgärtner und Botaniker gewirkt hatte. Während das von Sckell angelegte Arborium der Ausbildung der Gärtner und Gartenarchitekten diente und ästhetische Aspekte der Gesamtanlage in den Vordergrund stellte, war das Arboretum mit einer noch größeren Zahl an Baumarten als Referenzsammlung für die damals an Bedeutung gewinnende Forstbotanik gedacht.

Der Begriff Arboretum, der auf dem lateinischen Wort arborder Baum basiert, war aber keine Neuschöpfung der Schwetzinger Gartengestalter. Schon im 17. Jh. taucht er in einigen Buchtiteln auf, zuerst offenbar im 1642 gedruckten Arboretum sacrum des Johannes Meursius, in dem es um den Symbolgehalt der in der Bibel genannten Pflanzen geht. Gebräuchlich wurde der Begriff Arboretum aber erst zu Beginn des 19. Jh. Der schottische Botaniker und Landschaftsarchitekt John Claudius Loudon verwendete ihn ab 1806 in seinen zahlreichen Veröffentlichungen. Seine große Enzyklopädie der Bäume und Sträucher mit dem Titel Arboretum et Fruticetum Britannicum, or the trees and shrubs of the British Isles … (1838) hat dann die Gründung zahlreicher Arboreten ausgelöst.

Ob Loudon bereits 1806 die Schwetzinger Gehölzsammlungen unter der Bezeichnung Arboretum kannte, lässt sich nicht beantworten. Loudon reiste erstmals 1813 auf den europäischen Kontinent. Aber er galt schon als junger Mann als ungeheuer belesen und lernte und arbeitete unermüdlich. Als er 1803 im Alter von 20 Jahren nach London kommt, ist er schon ein bekannter, aufstrebender Gartengestalter, der schnell Zugang in den erlauchten Kreis der britischen Botaniker um Sir Joseph Banks bekommt. Nicht ausgeschlossen, dass die damals auch in England viel beachteten Gartengestaltungen Friedrich Ludwig von Sckells dort diskutiert wurden.

Anders als Sckell publizierte Loudon zahlreiche Bücher und gründete mehrere Zeitschriften, darunter die erste britische Gartenbau-Zeitschrift The Gardener’s Magazine. In seinem ersten Buch mit dem Titel A treatise on farming, improving, and managing country residences … schreibt er 1806 „A small botanic garden, or botanic parterre, may contain a large collection of all, or several, of the different families of vegetables, as an arboretum, frutecetum, harbarium, arranged either by the sexual or the natural systems of Linnaeus, or by the natural system of Jussieu, or any other author. These may be planted either in beds, as is commonly done when the Linnaean system is followed, or in irregular masses when any natural arrangement is adopted” (Loudon 1806, p. 343). Er wendet sich hier nicht an wissenschaftliche Einrichtungen, sondern an die wohlhabenden Landbesitzer, die auch die wichtigsten Auftraggeber für seine Gartengestaltungen waren.

Interessant ist die starke Betonung auf das wissenschaftliche Ordnungsprinzip bei der Gruppierung der Bäume (arboretum), Sträucher (frutecetum) und Stauden (harbarium). Loudon präferiert für das Arboretum ganz klar eine Gruppierung entsprechend der systematischen Klassifikation in Familien und Gattungen. Dieses Ordnungsprinzip wird später auch in den großen Arboreten in Kew Gardens (1845), dem renommierten Arnold Arboretum der Harvard Universität bei Boston (1872), aber auch im Botanischen Garten Berlin-Dahlem (1899) und im Botanischen Garten München-Nymphenburg (1912) angewandt. Alle diese Arboreten sind nicht geografisch geordnet, wie das in Mainz der Fall ist, sondern nach Pflanzenfamilien und Gattungen.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Botanische Gärten, die dem wissenschaftlichen Studium der Pflanzen dienen, bis in die Mitte des 19. Jh. meist noch relativ klein waren und in der Regel in den engen Stadtzentren lagen. Sie konzentrierten sich neben Arznei- und Nutzpflanzen auf botanische Besonderheiten und auf die Beschreibung neuer Pflanzenarten. Für repräsentative Baumkollektionen und malerisch gestaltete Landschaftsgärten hatte man weder Platz noch Geld. Ausnahmen bildeten einige forstliche Ausbildungsstätten, wie der 1811 gegründete Forstbotanische Garten in Tharandt, die schon früh große Gehölzsammlungen nach wissenschaftlichen Kriterien aufbauten.

Heute enthalten viele Botanische Gärten ein Arboretum als Teil ihres Freilandgeländes. Aber das Arboretum ist keine Erfindung der Botanischen Gärten, sondern verdankt seine Entstehung der Sammelleidenschaft vermögender Pflanzenliebhaber und der großen Beliebtheit des englischen Landschaftsgartens seit dem späten 18. Jh. Der ursprüngliche Gedanke Loudons, der später auch von Eduard Petzold (1864) für das heute nicht mehr erhaltene Arboretum Muscaviense formuliert wurde, möglichst alle Gehölze zu zeigen, die am gegebenen Standort dauerhaft im Freien kultiviert werden können, kann aber heute kaum mehr eingelöst werden. Zu groß ist die Zahl der vor allem aus China und Japan seit dem späten 19. Jh. eingeführten Baum- und Straucharten. Umso mehr geht es heute darum, eine möglichst vielfältige, relevante Auswahl zu treffen und sich den drängenden aktuellen Themen zu stellen.

Text und Fotos: Ralf Omlor | 09.04.2021

Literatur

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Heber, W. (1986). Die Arbeiten des Nicolas de Pigage in den ehemals kurpfälzischen Residenzen Mannheim und Schwetzingen. Wenersche Verlagsgesellschaft. Damrstadt.

Loudon, J.C. (1806). A treatise on forming, improving, and managing country residences; and on the choice of situations appropriate to every class of purchasers ... Longman, London. https://www.biodiversitylibrary.org/bibliography/44346

Loudon, J.C. (1838). Arboretum et fruticetum britannicum, or the trees and shrubs of Britain, native and foreign, hardy and half-hardy, pictorially and botanically delineated, and scientifically and popularly described ... Longman, London. https://www.biodiversitylibrary.org/bibliography/59079 (2nd edition 1844)

MacDougall, E.B., ed. (1980). John Claudius Loudon and the early nineteenth century in Great Britan. Dumbarton Oaks Colloquium on the history of landscape architecture VI. Washington, D.C.

Martz, J., H.W. Wertz & R. Stripf (2009). Die Arboreten des Schwetzinger Schlossgartens – ein Experimentierfeld der Botanik. S. 88-94. In: Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Baden-Württemberg, Stadt Schwetzingen (Hrsg.). Schwetzingen, Kurfürstliche Sommerresidenz. Nominierung zur Eintragung in die UNESCO Welterbeliste. Textband.

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Stripf, R. (2004). Die Arboreten des Schwetzinger Schlossgartens. Deutscher Kunstverlag. München, Berlin.

Zeyher, J.M. & G. Roemer (1809). Beschreibung der Gartenanlage zu Schwetzingen. Mit 8 Kupfern und einem Plane des Gartens. Mannheim. https://www.biodiversitylibrary.org/item/94463#page/9/mode/1up

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