Die Strauch-Kirsche ist ein Steppenrelikt

Die Strauch-Kirsche ist eine Wildkirschen-Art, die in Deutschland nur in den trockenen Regionen Rheinhessens, Thüringens und Sachsen-Anhalts vorkommt. Das Hauptverbreitungsgebiet der nur etwa 1-1,5 m hohen Kirsche liegt weiter östlich und erstreckt sich über Ost- und Südosteuropa bis nach Kasachstan. Die Vorkommen in Rheinhessen sind die westlichsten Standorte, sie werden als Relikte einer eiszeitlichen Steppenvegetation gedeutet. Dass sie sich bis heute in der landwirtschaftlich intensiv genutzten Region erhalten haben, verdanken sie vor allem konkreten Schutzmaßnahmen.

Aber es ist nicht nur der Verlust geeigneter Lebensräume, typischerweise an sonnenexponierten Böschungen im Bereich von Weinbergen, die die Bestände bedrohen. Schwerer wiegt die stark eingeschränkte Möglichkeit zur Vermehrung und Ausbreitung durch Samen. Denn die Strauch-Kirsche ist eng mit den Süßkirschen und Sauerkirschen verwandt und kann mit beiden hybridisieren. Zudem scheinen die Strauch-Kirschen an den verbliebenen Standorten oft Klone genetisch identischer Exemplare zu sein, die sich seit langem vorwiegend vegetativ durch Wurzelausläufer ausbreiten. Der Fruchtansatz in solchen Beständen ist relativ gering, da es bei den Kirschen eine ausgeprägte, genetisch bestimmte Selbstinkompatibilität. Das bedeutet, dass die Blüten nicht durch den eigenen Pollen befruchtet werden können.

Dieses System verhindert Selbstbefruchtung und erhöht die genetische Diversität der entsprechenden Arten. Es verhindert aber die Fruchtbildung, wenn alle oder fast alle Exemplare eines Bestands genetisch gleich sind. Bei den wenigen Früchten, die in solchen Beständen gebildet werden, ist die Wahrscheinlichkeit dann groß, dass sie mit Pollen von Süß- oder Sauerkirschen aus der Umgebung befruchtet worden sind. Die Nachkommen sind dann Hybriden.

Im Obstbau ist die Selbstinkompatibilität der Kirschen seit langem bekannt. Süßkirschen haben nur dann einen reichen Fruchtansatz, wenn eine geeignete zweite Süßkirschen-Sorte als Pollenspender in der Nähe ist. Bei Sauerkirschen, die aus der spontanen Kreuzung von Süßkirschen (die Wildform davon ist die Vogel-Kirsche, Prunus avium) mit der Strauch-Kirsche entstanden sind, ist die Selbstinkompatibilität nicht durchgängig vorhanden.

Im Botanischen Garten haben sich Kirschen, die aus Samen von wild vorkommenden Strauch-Kirschen gezogen wurden, mindestens zwei Mal als Hybriden mit der Sauerkirsche erwiesen. Solche Kreuzungen haben den botanischen Namen Prunus x eminens. Inzwischen gibt es aber einen sehr schönen echten Bestand der Strauch-Kirsche im Bereich der Naturlandschaften im Botanischen Garten. Diese Pflanzen wurden bei Biotoppflegemaßnahmen südlich von Mainz-Ebersheim entnommen und haben sich durch Wurzelausläufer inzwischen stark ausgebreitet. Einen Fruchtansatz gibt es aber nur selten. Daher haben wir in diesem Jahr noch von zwei weiteren Standorten in Rheinhessen Ausläuferpflanzen entnommen und hoffen nun in den kommenden Jahren Strauch-Kirschen gezielt aus Samen vermehren zu können.

Literatur

Blaufuss, A. & H. Reichert (1992). Die Flora des Nahegebietes und Rheinhessens. Pollichia-Buch Nr. 26. Bad Dürkheim.

Hrotkó, K., Y. Feng & J. Halász (2020). Spontaneous hybrids of Prunus fruticosa Pall. In Hungary. Genet Resour Crop Evol 67: 489-502.

Macková, L., P. Vit & T. Urfus (2018). Crop-to-wild hybridization in cherries – Empirical evidence from Prunus fruticosa. Evolutionary Applications 11: 1748-1759.

Link zum Garden Explorer: Die Strauch-Kirsche im Botanischen Garten.

Text und Fotos: Dr. Ralf Omlor

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