Operation Nashorn – Kaktus schwebt durchs Gewächshausdach

Man hat das schon gesehen, Nashörner, die kopfüber an einem Hubschrauber hängen und umgesiedelt werden. Sicher nicht ganz einfach, aber im Prinzip irgendwie klar: kleiner Narkosepfeil, Schlaufe um die Füße und los geht's. Aber wie zieht man einen 3,5 m großen und schätzungsweise 500 kg schweren, argentinischen 'Cardón grande' Kaktus mit 10-15 cm langen Dornen in ein neues Gewächshaus um? Die Dornen sollen dabei niemanden verletzen, aber auch nicht abknicken, und natürlich soll keiner der Seitenarme abbrechen, auch keine Wurzel. Durch die Tür des alten Gewächshauses, in dem er 27 Jahre gelebt hat und in dieser Zeit enorm gewachsen ist, passt er nicht mehr. Doch anfassen und raustragen könnte man ihn ohnehin nicht. Also was tun? Kann man es vielleicht mit einer Variante der Nashorn-Methode versuchen?

Operation Nashorn - so ist  ist der Plan: man entfernt einen Teil des Gewächshausdaches, packt den Kaktus gründlich ein und hebt ihn mit einem Kran heraus. Im Prinzip also auch easy-peasy. Sogar auf den Narkosepfeil kann man verzichten. Der beste Zeitpunkt für die Aktion ist Ende April, kurz vor Beginn der neuen Wachstumssaison. Wie üblich hat der Kaktus dann seit November kein Wasser mehr bekommen und entsprechend abgenommen. Auch seine Wurzeln sind jetzt, wie während der Trockenzeit in der Wüste, weitgehend eingetrocknet. Die Gefahr großer Verletzungen an den Wurzeln ist nun geringer. Als Termin für die Operation ist seit längerem Montag, der 29. April 2024 festgelegt. Doch dann wird es in der Woche davor noch einmal richtig kalt, so dass die Öffnung des Gewächshausdaches erst knapp davor erfolgen kann.

Montagmorgen: jetzt muss der Kaktus zügig eingepackt und stabilisiert werden, denn für 12 Uhr ist der Kranwagen bestellt. Beim Freilegen der Wurzeln darf er später nicht umkippen, also ist er zunächst mit Stahlseilen in drei Richtungen gesichert worden. Nun wird er mit mehren Rollen eines Dämmstoffs aus Schafwolle umwickelt, bis die Dornen kaum mehr nach außen dringen. Es folgen Jutesäcke und Spanngurte. Der schwierigste Teil ist es nun, ein stabiles Gerüst um den Kaktus zu zimmern, an dem die Gurte für den Kran befestigt werden können. Lücken dazwischen werden mit Styroporblöcken und Luftpolsterfolie ausgestopft.

Jetzt müssen noch zwei riesige Goldkugelkakteen, auch bekannt als Schwiegermuttersitze, die sehr dicht an unserem 'Cardón grande´ wachsen und ihn offenbar teilweise stützen, vorsichtig ausgegraben werden. Der 'Cardon grande' ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit Hebegurten und Schlingen am Haken des Kranwagens befestigt, damit er auf keinen Fall umkippen kann. Jetzt wird er ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter angehoben. Dabei werden die letzten Wurzeln, die noch mit dem Boden verbunden sind, wie bei einer archäologischen Grabung, vorsichtig mit einer kleinen Handschaufel freigelegt. Dann hebt der Kran ihn weiter an, und er schwebt langsam nach oben. Und die Konstruktion hält tatsächlich, der Kaktus gleitet durch die Luft und kann sicher auf der Ladefläche des Kranwagens abgesetzt werden. Die Anspannung im ganzen Team weicht langsam.

Im letzten Schritt wird der Kaktus vor einem ausgeräumten Überwinterungsgewächshaus abgesetzt. Hier wird er liegend gelagert werden bis er hoffentlich Anfang Juni in den Gewächshausneubau gepflanzt werden kann. Er bleibt solange eingepackt. Während der Ruhezeit sollen die Verletzungen an den Wurzeln abheilen, so dass später keine Fäulnis entstehen kann. Wie er dann im neuen Gewächshaus wieder aufgerichtet und eingepflanzt werden kann, bleibt abzuwarten. Mit den Nashörnern ist es am Ende dann vielleicht einfacher. Wenn die Wirkung der Narkose nachlässt, stehen sie auf und fühlen sich hoffentlich wohl in ihrer neuen Umgebung. Das wünschen wir uns auch für unseren großen 'Cardon grande', aber der Weg bis dahin ist noch schwierig.      

Danksagung

Wir danken den vielen engagierten Förderinnen und Fördern im Freundeskreis des Botanischen Gartens der Johannes Gutenberg-Universität Mainz e.V. für die großzügige Finanzierung der Rettung unser wertvollen, zum Teil viele Jahrzehnte alten Kakteen und Sukkulenten. Mit unserem knappen Gartenetat wäre die Bergung dieses außergewöhnlich großen Kaktus aus dem alten Gewächshaus nicht möglich gewesen.

Text und Fotos: Ralf Omlor | 10.05.2024

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