Saatgutbank für Wildpflanzen eröffnet

Großes öffentliches Interesse beim Grußwort der Ministerin Katrin Eder anlässlich der Eröffnung der Saatgutbank für Wildpflanzen (Foto: Peter Pulkowski)

Im Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist in einem neuen Gebäude eine Saatgutbank für Wildpflanzen eröffnet worden. Darin können Samen seltener und gefährdeter Pflanzenarten jahrzehntelang keimfähig gelagert werden. Das Projekt entwickelte sich aus der Beteiligung des Botanischen Gartens und der Grünen Schule an einem deutschlandweiten Verbundprojekt zum Schutz gefährdeter Wildpflanzen (WIPs-De). Die Saatgutbank ermöglicht neue Forschungs- und Bildungsprojekte im Botanischen Garten und bietet zusätzliche Optionen für den botanischen Artenschutz in Rheinland-Pfalz.

Mit dem Einstieg in das bundesweites Verbundprojekt zum Wildpflanzenschutz WIPs-De, das im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbrauch­erschutz gefördert wird, bot sich die Gelegenheit, am Botanischen Garten Mainz eine regionale Saatgutbank zu etablieren. Dieser Schritt ist nun abgeschlossen. Mit der Fertigstellung eines vom Land Rheinland-Pfalz finanzierten Anbaus an das bestehende Gebäude der Saatgutreinigung sind jetzt alle Voraussetzungen für die Langzeitlagerung von Samen geschaffen.

Wichtigster Bestandteil der technischen Ausstattung ist eine begehbare Klimakammer, in der die Samen vor dem Einfrieren bei 15°C und 15% relativer Feuchte langsam bis zu einer Restfeuchte von nur noch 3,5 bis 6,5 % getrocknet werden. Die Finanzierung dieser speziellen Klimakammer ermöglichten die Mainzer Wissenschaftsstiftung und der Freundeskreis des Botanischen Gartens, die dafür jeweils 30.000 Euro zur Verfügung gestellt haben. Zusätzliche Geräte zur Vakuumierung der Saatgutproben, zur Messung der Restfeuchte in den Samen und zur Prüfung ihrer Keimfähigkeit wurden aus den Fördermitteln des Projekts WIPs-De finanziert.

In die neue Saatgutbank werden nun zunächst die im Rahmen von WIPs-DE in Rheinland-Pfalz und im Saarland gesammelten Samen einer vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) erstellten Liste von Arten, für deren Erhalt Deutschland eine besondere Verantwortung hat, eingelagert. Seit 2020 besteht zudem eine Kooperation mit einem Projekt an der TU Bingen zur Erhaltung und Förderung von Ackerwildkräutern, das im Rahmen der Aktion Grün des Landes Rheinland-Pfalz gefördert wird. Hierbei geht es um die Sicherung und Vermehrung der letzten Vorkommen gefährdeter Ackerwildkräuter, von denen auch Samenproben in der Saatgutbank des Botanischen Garten eingelagert werden. Aber das ist erst der Anfang. Die Saatgutbank ermöglicht neue Forschungsprojekte und bietet zusätzliche Optionen für den botanischen Artenschutz in Rheinland-Pfalz.

„Die Vielfalt der Arten und auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten ist ein großer Schatz der Natur, der nicht nur um seiner selbst willen schützens- und erhaltenswert ist“, sagt Umweltministerin Katrin Eder. „Vielmehr sind Arten als Teile des Ökosystems wichtige Ressourcen für die Zukunft und Lebensgrundlage für den Menschen. Jede Art übernimmt Funktionen im Ökosystem und ist auf besondere Weise an ihren Standort angepasst. Dies kann gerade in Zeiten des Klimawandels eine wichtige Ressource darstellen, wenn es um die Entwicklung von Anpassungsstrategien zum Beispiel in der Nutzpflanzenzucht geht. Auch für die Medizin ist das wichtig, denn sie bedient sich pflanzlicher Wirkstoffe bei der Medikamentenherstellung. Stirbt eine Art aus, so verlieren wir auch die Möglichkeit, „von ihr lernen zu können“. Dies ist einer von vielen Gründen, warum es so wichtig ist, diesen Schatz zu bewahren. Saatgutbanken und das gesamte Verbundprojekt leisten dazu einen immensen Beitrag.“

Hintergrund

Samen gehören zu den spektakulärsten Organen, die Pflanzen in ihrer langen Evolution hervorgebracht haben, erläutert Dr. Ralf Omlor. Sie dienen der Vermehrung und Ausbreitung und sind für diese Aufgaben perfekt ausgestattet. Aber auch für uns Menschen sind Samen von enormer Bedeutung. Denn letztlich basiert unsere gesamte kulturelle Entwicklung seit der Erfindung des Ackerbaus vor etwa 10.000 Jahren auf der Nutzung von Pflanzensamen. Das wäre nicht möglich, wenn Samen nicht ganz spezifische Eigenschaften hätten. Sie verfügen in ihrem Innern über einen ruhenden Pflanzenembryo, der sich unter günstigen Bedingungen schnell zu einer neuen Pflanze entwickeln kann. Das gibt uns die Möglichkeit, Pflanzen als Samen leicht zu transportieren und sie nach unseren Vorstellungen auch fern ihres Ursprungsortes anzusiedeln.

Damit das Wachstum der neuen Pflanze gelingen kann, gibt es in Samen fast immer ein Nährgewebe, das die benötigte Energie für die Bildung der Keimwurzel und der ersten Blätter liefert. Embryo und Nährgewebe sind zudem von einer schützenden Samenschale umschlossen, die den Samen von der Außenwelt nahezu hermetisch abschließen kann und ihm damit, wie in einer Zeitkapsel, eine oft jahrelange Ruhephase im Tiefschlaf ermöglichen kann. Ein Szenario, das für uns Menschen nur in Science-Fiction-Romanen existiert.

Pflanzen sind uns in dieser Hinsicht also weit überlegen. Mit ihren Samen sind sie für die Überdauerung ungünstiger Vegetationsperioden oder lebensfeindlicher Veränderungen ihrer Standorte ausgerüstet. Samen bieten daher in den allermeisten Fällen auch den besten Ansatzpunkt, wenn man Nutzpflanzen für die Züchtung bewahren will, oder wenn seltene Pflanzen vor dem Aussterben in der Natur geschützt werden sollen. Allerdings können Samen nicht einfach bei Raumtemperatur und normaler Luftfeuchtigkeit gelagert werden. Unter diesen Bedingungen altern Samen zum Teil sehr schnell und verlieren ihre Keimfähigkeit spätestens nach einigen Jahren. Um sie längerfristig keimfähig lagern zu können, müssen die Samen stärker getrocknet und dann tiefgekühlt werden. Nur so kann ihr Stoffwechsel auf ein absolutes Minimum reduziert werden.

Die hierfür erforderlichen Methoden sind seit Jahrzehnten für Kulturpflanzen gut etabliert. In vielen Ländern gibt es Saatgutbanken, in denen Sorten wichtiger Nahrungspflanzen und eng mit ihnen verwandte Wildarten für die Züchtung und den Erhalt ihrer genetischen Vielfalt eingelagert werden. In Deutschland nimmt die Genbank Gatersleben diese Aufgaben wahr. Als zusätzliche Sicherung solcher Kulturpflanzen-Saatgutbanken werden seit 2008 Dubletten der Samenbestände im Svalbard Saatgut-Tresor (Svalbard-Global Seed Vault), tief im Permafrostboden auf Spitzbergen eingelagert.

Vakuumverpackte Saatgutproben werden in der Mainzer Saatgutbank bei -18°C gelagert (Foto: Peter Pulkowski).

Während Saatgutbanken für Kulturpflanzen also fast überall verfügbar sind, sieht es für Wildpflanzen sehr viel schlechter aus. Beim Schutz von Wildpflanzen hat man sich lange fast ausschließlich auf den Erhalt der Arten in ihren natürlichen Lebensräumen (In-situ, d.h. an Ort und Stelle) konzentriert. In den vergangenen Jahrzehnten hat man aber feststellen müssen, dass In-situ-Maßnahmen allein nicht mehr ausreichen, um das Aussterben von Pflanzenarten zu stoppen. Mit der Globalen Strategie zum Schutz der Pflanzen (Global Strategy for Plant Conservation, GSPC) wurden 2002 im Rahmen der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) daher 16 konkrete Ziele international vereinbart. Darin wird erstmals auch der hohe Stellenwert von Maßnahmen außerhalb der natürlichen Lebensräume (Ex-situ) betont. In dem für Botanische Gärten besonders relevanten Ziel 8 heißt es: Bis 2020 sind „75 % der gefährdeten Pflanzenarten in zugänglichen Ex-situ-Sammlungen enthalten, vorzugsweise im Herkunftsland, und 20 % davon in Wiederansiedlungs- und Wiederherstellungs­programme einbezogen.“

Von diesem Ziel sind wir noch weit entfernt, aber die Verabschiedung der globalen Strategie hat wichtige Impulse gegeben. So gibt es heute weltweit bereits an mehr als 400 Botanischen Gärten Kapazitäten zur mittel- oder langfristigen Samenlagerung (BGCI 2019). In Deutschland sind Saatgutbanken für Wildpflanzen allerdings dünn gesät. Lediglich in den Botanischen Gärten in Berlin-Dahlem (Dahlemer Saatgutbank), Osnabrück (Loki Schmidt Genbank für gefährdete Wildpflanzen) und Regensburg (Bayern Arche) gibt es solche Einrichtungen. „Es ist wichtig, dass wir mit dem Projekt Wildpflanzenschutz Deutschland die Sicherung von Pflanzenarten in technischen Einrichtungen mit konkreten Artenschutzmaßnahmen im Lebensraum verbinden konnten. Im Rahmen dieses Projektes ist auch die Einrichtung der Saatgutbank am Botanischen Garten in Mainz unterstützt worden.“, so Dr. Daniel Wolf vom Bundesamt für Naturschutz in Bonn. Die globalen Ziele wurden in der nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt für Deutschland konkretisiert. Das Förderprogramm „Bundesprogramm Biologische Vielfalt“ des Bundes unterstützt deren Umsetzung.

„Botanische Gärten sind für diese Aufgabe prädestiniert,“ ergänzt Dr. Elke Zippel von der Dahlemer Saatgutbank des Botanischen Gartens Berlin. „Keine anderen Instututionen haben derart viel Erfahrung mit der Kultur und Vermehrung von Wildpflanzen. Mit dem Aufbau von Saatgutbanken, die die meisten Botanischen Gärten zu einem nicht unerheblichen Teil selbst tragen, wird diese Tradition erweitert, in neuer, technisch optimierter Form ausgebaut und gibt Botanischen Gärten angesichts der dramatischen Biodiversitäskrise eine wichtige Rolle für den botanischen Artenschutz.“

Der Botanische Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist neben den Botanischen Gärten Berlin, Osnabrück und Regensburg erst die vierte Einrichtung in Deutschland, die eine moderne Saatgutbank für Wildpflanzen nach internationalem Standard unterhält. Wir freuen uns sehr, dass dieser für den Botanischen Garten bedeutende Schritt Dank vielfältiger Unterstützung gelungen ist.

Von links nach rechts: Dr. Daniel Wolf, Bundesamt für Naturschutz (BfN); Dr. Ute Becker, Grüne Schule; Katrin Eder, Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz; Dr. Ralf Omlor, Botanischer Garten; Dr. Elke Zippel, Dahlemer Saatgutbank Berlin; Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch, Präsident der Johannes Gutenberg-Unoversität Mainz (Foto: Peter Pulkowski).

Grußworte

  • Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch, Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • Katrin Eder, Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz
  • Dr. Daniel Wolf, Bundesamt für Naturschutz, Botanischer Artenschutz
  • Dr. Elke Zippel, Kuratorin Dahlemer Saatgutbank, Botanischer Garten Berlin

Kontakt für weitere Informationen

Dr. Ralf Omlor
Botanischer Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Anselm-Franz-von-Bentzel-Weg 9b
55128 Mainz
Tel. 06131 39 22628
E-Mail: omlor@uni-mainz.de

Dr. Ute Becker
Grüne Schule im Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Anselm-Franz-von-Bentzel-Weg 9b
55128 Mainz
Tel. 06131 39 25686
E-Mail: beckeru@uni-mainz.de

Einen ausführlichen Bericht zur neuen Saatgutbank finden Sie auch im Newsletter | 3 | April 2022 des Botanischen Gartens.

 

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