Seit heute blühen die ersten Schneeglöckchen im Botanischen Garten. Na gut, sie sind noch nicht richtig aufgeblüht, aber ihre lang ersehnten Blütenknospen sind zum Teil schon voll entwickelt. Höchste Zeit also, sich auf die Schneeglöckchen-Saison einzustimmen und den Winterblues abzuschütteln. Oder gibt es da ein Problem?
Das Schneeglöckchen ist unter den Frühblühern der unangefochtene Star mit einer großen Zahl enthusiastischer Follower. Wer jemals auf einer Schneeglöckchen-Börse war und gesehen hat, wie sich die Galanthophilen, so nennen sich die Schneeglöckchenliebhaber, in den unzähligen angebotenen Sorten zurechtfinden und bereit sind, auch dreistellige Beträge für ein einzelnes Schneeglöckchen zu zahlen, wird das Erlebnis so schnell nicht vergessen. Es ist müßig, vernünftige Gründe dafür zu suchen, es gibt keine. Es sind Liebhaber, und man darf sie darum beneiden. Für den Laien erscheinen die Unterschiede zwischen den vielen Sorten dagegen gering. So wie sich auch die etwa 20 in der Natur vorkommenden wilden Schneeglöckchen-Arten alle recht ähnlich sind.
Schneeglöckchen sind Zwiebelpflanzen, die sich über Tochterzwiebeln und durch Samen vermehren. Die Samen lohnen später in der Saison einen genaueren Blick, denn sie haben kleine eiweißreiche Anhängsel (Elaiosomen), die für eine Ausbreitung durch Ameisen sorgen. An einem geeigneten Standort kann die Zahl der Schneeglöckchen daher leicht zunehmen. Durch die Bildung von Tochterzwiebeln entstehen immer größere dichte Trupps und durch die Ausbreitung der Ameisen über kurze Distanzen immer neue Kolonien.
Das gilt zumindest für die Wildarten. Viele der kultivierten Sorten sind Hybride, die keine oder nur sehr wenige Samen bilden. In diesen Fällen muss man bei der weiteren Verteilung im Garten durch das Teilen der Zwiebelgruppen nachhelfen. Ungeduldige und sehr versierte Galantophile können die Vermehrung zudem durch das sogenannte Chipping oder Twin Scaling einzelner Zwiebeln beschleunigen. Dabei werden die Zwiebeln in kleine Stücke zerschnitten und zur Bildung von Tochterzwiebeln angeregt. Aber das erfordert einige Übung und steriles Arbeiten. Machen Sie es nicht mit der einzigen Zwiebel eines teuer erworbenen Liebhaber-Schneeglöckchens!
Aus jeder ausreichend kräftigen Zwiebel wachsen oft schon im Januar zwei Blätter und ein Blütenstand, der in der Regel nur eine einzelne Blüte trägt. Die Blüten bestehen aus zwei Kreisen von je drei Blütenblättern, aus sechs Staubblättern und einem unterständigen Fruchtknoten. Die drei äußeren, größeren Blütenblätter sind meist reinweiß, haben bei einigen Sorten aber zur Spitze hin außen einen grünlichen oder gelblichen Fleck. Sonst unterscheiden sie sich durch die etwas breitere oder länglichere Form und den Grad, wie stark sie sich nach außen öffnen. Die inneren Blütenblätter sind kürzer und an der Spitze eingebuchtet. Auf der Außenseite tragen sie einen oder mehrere unterschiedlich geformte, grünliche oder seltener gelbliche Tupfen. Die inneren Blütenblätter öffnen sich nicht nach außen, sie umschließen die Staubblätter und den Griffel. Auf der Innenseite tragen sie schicke, grüne Längsstreifen.
Das ist alles. Die mindestens 500 beschriebenen Schneeglöckchen-Sorten unterscheiden sich in der Variation dieser wenigen Merkmale. Wahre Schönheit liegt eben im Detail. Und wer die Unterschiede sehen und verstehen will, muss sich bücken und sehr genau hinschauen. Eigentlich eine gute Beschäftigung in diesem kulturarmen Corona-Zeiten. Aber Vorsicht, wer jetzt seine große Liebe zu den Schneeglöckchen entdeckt, hat einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Denn es sind schwerwiegende Beschränkungen für Galantophile und auch für viele andere Pflanzenliebhaber in Kraft getreten. Nein nicht aufgrund von Covid-19. Durch den Brexit. Die Pflanzenzüchter im Mutterland der Schneeglöckchenkultur sind durch den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union von ihren Kunden auf dem Kontinent weitgehend abgeschnitten. Und umgekehrt natürlich genauso.
Der Export und Import von Pflanzen nach oder aus Großbritannien erfordert nun eine vorherige phytosanitäre Untersuchung, entsprechende Zertifikate und muss zudem frei von Erde erfolgen. Bei Schneeglöckchen, deren Handel zum Schutz der Wildpopulationen zudem durch das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) kontrolliert wird, ist nun auch ein CITES-Zertifikat erforderlich, das belegt, dass die Pflanzen aus gärtnerischer Vermehrung und nicht von Wildaufsammlungen stammen. Innerhalb der EU sind phytosanitäre Untersuchungen und CITES-Zertifikate nicht erforderlich. Da beide Zertifikate nicht billig sind, haben bedeutende Schneeglöckchenzüchter wie etwa die Gärtnerei Avon Bulbs in Somerset den Versand ihres umfangreichen Schneeglöckchen-Sortiments an Kunden innerhalb der EU ausgesetzt. Man hofft dort, dass sich im Laufe des Jahres noch eine Möglichkeit findet, zumindest den Herbstversand von Schneeglöckchen-Zwiebeln zu vertretbaren Konditionen anbieten zu können.
Im Moment muss man also mit dem hiesigen Schneeglöckchenangebot auskommen. Im Botanischen Garten ist das zugegebener Maßen nicht sehr üppig. Es gibt gegenwärtig nur das gewöhnliche Kleine Schneeglöckchen (Galanthus nivalis), das von Frankreich bis Osteuropa natürlich vorkommt, und ein paar wenige Exemplare des aus Südosteuropa stammenden Großblütigen Schneeglöckchens (Galanthus elwesii) zu entdecken. Doch da sich die englische Schneeglöckchenliebe schon seit einigen Jahren auch auf dem Kontinent immer mehr ausgebreitet hat, haben sich auch hier einige Gärtnereien spezialisiert und können das wertvolle Pflanzgut liefern. Na, Gott sei Dank. Denn ein Februar ohne neue Schneeglöckchen wäre uns in diesem Jahr kaum zu vermitteln gewesen.
Text und Fotos: Ralf Omlor | 29.01.2021
Link zum Garden Explorer: Schneeglöckchen im Botanischen Garten finden
Gerade vor ca. einer Stunde habe ich in Mombach die ersten aufgeblühten Schneeglöckchen in einem Vorgarten gesehen! Ich habe mich sehr darüber gefreut, das war das Highlight des Tages!
Lieber Herr Omlor, vielen Dank für diese interessante Information über das Schneeglöckchen. Ich selbst gehöre auch zu den Schneeglöckchen-Liebhabern. Das erste Schneeglöckchen dieses Winters hat in meinem Garten bereits an Silvester die Blüten ausgetreckt. Und vermutlich durch die aktive Tätgikeit der fleißigen Ameisen finde ich Schneeglöckchen an den unterscheidlichsten Stellen.
Galanthophilie war mir ein neuer Begriff – die Freude über diese netten Frühlingsboten ist aber sehr nachvollziehbar! Wobei ich die gold-gelben Winterlinge dennoch bevorzuge (vielleicht gibt es ja auch eine Eranthispholie?). Habe beide heute munter blühend im Gonsbachtal gefunden; zusammen mit den ersten Krokus-Köpfchen. Freue mich schon sehr auf den Frühling im Botanischen Garten!
Danke, Herr Omlor für Ihren Bericht; ebenso den Kommentierenden. Auch ich freue mich über die ersten Schneeglöckchen und Winterlinge in meinem Garten. Endlich mal was Erfreuliches!
Wenn man nur auch ein Bild seiner Schneeglöckchen schicken könnte!
Bei mir blühen die ersten hinter einem großen Stein – ganz verborgen und doch entdeckt ! Welch eine Freude! Und die ersten Winterlinge!
Die Natur macht, was sie immer tut. Kein Corona-Stress! Das tut gut!
Allen eine gesunde Zeit
Der Sobernheimer Apotheker Fritz Wandesleben fand in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Varietät des Schneeglöckens Galanthus nivalis in einem verwilderten Garten in Sobernheim. Es hatte zwei Hochblätter anstatt nur eines Hochblattes und die drei äußeren Blütenblätter hatten grüne Flecken an der Spitze. Er informierte darüber auch den befreundeten Apotheker Julius Scharlock aus Graudenz an der Weichsel in Westpreußen. Der holte sich einige Zwiebeln persönlich in Bad Sobernheim ab und setzte sie in seinen Garten. Nachdem die Pflanzen angewachsen waren, schickte er einige Exemplare zu dem Botanikprofesssor Robert Caspary nach Königsberg. Der bestätigte 1868 die besonderen morphologischen Merkmale und gab dieser Varietät des Schneeglöckchens den Namen Galanthus nivalis var. scharlockii. Im letzten Jahr konnte ich diese Varietät im Garten der Familie Kaiser im Forsthaus Alteburg ganz in der Nähe der bekannten Trifthütte im Soonwald identifizieren und einige Exemplare in den Heilpflanzengarten des Heimatmuseum Bad Sobernheim überführen. Somit ist im letzten Jahr diese "Sobernheimer Schneeglöckchenvarietät" wieder nach Bad Sobernheim zurückgekehrt.
König, H., Kreuzter, M., Hinzmann, O., Wiechert, A. (2019) Der Heilpflanzengarten am historischen Priorhof in Bad Sobernheim. Schriftenreihe des Heimatmuseums Bad Sobernheim 2. HS-Grafik, Martinstein.