Der argentinische 'Cardón grande' ist unsere Weihnachtspflanze 2023

Nun ist es endgültig der letzte Winter für den großen argentinischen Cardón grande in unserem alten Sukkulentengewächshaus. Natürlich werden wir alles versuchen, ihn in das neue Gewächshaus umzupflanzen. Aber, ob es gelingen wird, kann niemand sagen. Er ist jetzt mehr als drei Meter hoch, hat sieben Seitenarme, und wiegt wohl mehr als 300 kg. Seine nadelspitzen Dornen sind bis zu 13 cm lang. Wie soll man ihn da anfassen und aus dem Gewächshaus heraustragen? Doch durch die schmale Tür des alten Gewächshauses passt er ohnehin nicht mehr. Man wird das Dach aufschneiden und ihn mit einem Kran herausheben müssen.

Das war natürlich nicht abzusehen. Als dieser Kaktus, den man damals noch für einen mexikanischen Ferocactus hielt, 1997 im frisch umgestalteten Sukkulentenhaus gepflanzt wurde, war er kaum höher als einen halben Meter. Man erkennt ihn gut auf den Pressefotos vom Oktober 1997. Wie alt er damals war und wie er in den Botanischen Garten Mainz gekommen ist, wissen wir nicht. Er kann durchaus schon in den 1950er Jahren aus Samen gezogen worden sein oder als Pflanze aus einem anderen botanischen Garten gekommen sein. Solange diese Kakteen in Töpfen kultiviert werden, wachsen sie nur sehr langsam. Man kann sie klein halten, ähnlich wie einen Bonsai. Werden sie dann aber in ein großes Beet ausgepflanzt, zeigen sie schnell ihr Potential. Das war auch hier so. Unser Kaktus wurde groß und fing an sich zu verzweigen. Damit war klar, ein mexikanischer Ferocactus ist das nicht. Aber was ist es dann? Blühen wollte er vorerst nicht.


Prof. Joachim W. Kadereit PhD (ganz links) und der damalige Präsident der JGU, Prof. Dr. Josef Reiter (ganz rechts), bei der Eröffnung des neugestalteten Sukkulentenhauses am 14. Oktober 1997 (Foto: Uwe Stotz, JOGU No. 160, Dezember 1997). Der Cardón grande ist rot markiert.

Erst im Jahr 2015 gelang uns die Bestimmung: Es ist ein Cardón grande aus dem Nordwesten Argentiniens, der auch als Argentinischer Saguaro bezeichnet wird. Sein wissenschaftlicher Name lautet Leucostele terscheckii (J.Parm. ex Pfeiff.) Schlumpb. Die Abkürzungen hinter dem lateinischen Pflanzennamen stehen für Botaniker, die den Kaktus wissenschaftlich klassifiziert haben: „Schlumpb.“ steht für Boris Schlumpberger, der 2012 die Abstammung des Cardón grande und ähnlicher Arten neu untersucht hat und ihn in die Gattung Leucostele gestellt hat. „Pfeiff.“ steht für Ludwig Georg Karl Pfeiffer, einen Arzt und Botaniker aus Kassel, der 1837 eine Auflistung und Beschreibung aller in deutschen Gärten kultivierten Kakteen veröffentlich hat. Von ihm wird unser Cardón grande erstmals wissenschaftlich beschrieben und erhält den Namen Cereus terscheckii. Pfeiffer kannte die Blüten dieser großen baumförmigen Kaktee allerdings noch nicht. Er schreibt zur Herkunft:

Diese …  Art erhielt ich von Herrn Parmentier in Enghien, welcher Exemplare davon besitzt, die beinahe den Umfang eines Mannesschenkels haben(L.Pfeiffer 1837).

Dick wie ein Mannesschenkel, süß! Das waren also ganz schöne Brummer, die Joseph Julien Ghislain Parmentier (für ihn steht das Kürzel „J.Parm.“) vor fast zweihundert Jahren in seinem Gewächshaus hatte. Parmentier war Gartengestalter, aber auch Bürgermeister des belgischen Städtchens Enghien und Bruder des berühmten Rosenzüchters gleichen Namens.

Ich erwähne das hier, um zu zeigen, dass der Cardón grande schon sehr lange und erfolgreich in Gewächshäusern kultiviert wird. Er hat entsprechend auch eine relativ weite Verbreitung in den Sammlungen botanischer Gärten erlangt. Aber nur selten sieh man ihn so groß wie im Mainzer Botanischen Garten.

In seiner Heimat ist der Cardón grande typisch für die Monte-Vegetation im Nordwesten Argentiniens und ist die charakteristische Pflanzenart des Parque Nacional Los Cardones in der Provinz Salta. Er ist kandelaberartig verzweigt und kann an günstigen Standorten 10 bis 12 Meter hoch werden. Meist bleibt er aber etwas kleiner. Unser Exemplar hat mit seinen etwas mehr als drei Metern Höhe also noch ordentlich Wachstumspotential. Im neuen Gewächshaus, das in der Spitze bis neun Meter hoch ist, kann er dann zeigen, was in ihm steckt. Da er in den letzten Jahren auch begonnen hat zu blühen, kann das spektakulär werden. Die Blüten erreichen einen Durchmesser von etwa 12 cm. Sie öffnen sich abends und schließen sich wieder am folgenden Tag. In Argentinien werden sie vorwiegend von Nachtfaltern bestäubt. Das ist für große Säulenkakteen eher untypisch. Meist sind es Fledermäuse, die nachtblühende Kakteen bestäuben. Bei den am Tag blühenden Arten stehen Kolibris und Bienen als Bestäuber im Vordergrund.

Wenn alles klappt, soll unser Argentinischer Saguaro eine der Leitpflanzen des neuen Kakteen-Gewächshauses werden. Anders als bisher, soll er dann nicht mehr in einem Sammelsurium unterschiedlicher Sukkulenten stehen, sondern von charakteristischen Pflanzen der Monte-Vegetation Argentiniens umgeben sein. Das ist der Plan.

Sie können den argentinischen Cardón grande noch den ganzen Winter in seinem alten Gewächshaus besuchen. Auch über die Weihnachtstage. Voraussichtlich im Mai 2024 wird es dann ernst. Dann wird er dick eingepackt und mit Stangen gesichert, ausgegraben und in seiner Mumienverpackung durch das Dach aus dem Gewächshaus gehoben. Dabei wird ein Großteil der Wurzeln entfernt werden müssen. Er muss dann zunächst ein paar Wochen trocken lagern, damit die Schnittstellen verheilen. Erst dann kann er neu gepflanzt werden. Wie gesagt, das ist der Plan. Ob es gelingt, bleibt abzuwarten. Aber wir werden alles versuchen, diesen großen argentinischen Kaktus, der seit Jahrzehnten im Botanischen Garten wächst, für die nächsten Besucher-Generationen zu bewahren.

Viele weitere Pflanzen aus dem alten Sukkulentenhaus werden ebenfalls in die Neubauten umziehen. Hinzu kommen dann noch ein paar besonders große Exemplare, die wir auf Gran Canaria eingekauft haben. Der Freundeskreis des Botanischen Garten hat eine Spendenkampagne gestartet, um die Bepflanzung der neuen Gewächshäuser zu unterstützen. Auch Sie können mithelfen, in Mainz eines der eindrucksvollsten Gewächshäuser für Kakteen und andere Pflanzen tropischer Trockengebiete entstehen zu lassen.

Mit diesem Ausblick auf ein spannendes neues Jahr bedanken uns für die vielfältige Unterstützung, die wir im Zusammenhang mit der Erneuerung der Gewächshäuser bereits erfahren haben und wünschen allen Freundinnen und Freunden des Botanischen Gartens frohe Weihnachten und ein glückliches Jahr 2024.

 

Literatur
Ortega-Baes, P., M.Saravia, S.Sühring, H.Godinez-Alvarez & M.Zamar (2011). Reproductive biology of Echinopsis terscheckii (Cactaceae): the role of nocturnal and diurnal pollinators. Plant Biology 13 (Suppl. 1): 33-40.
Pfeiffer, L. (1837). Beschreibung und Synonymik der in deutschen Gärten lebend vorkommenden Cacteen : Nebst einer Übersicht der größeren Sammlungen und einem Anhange über die Kultur der Cactuspflanzen. Berlin.
Schlumpberger, B.O. & S.S.Renner (2012). Molecular phylogenetics of Echinopsis (Cactaceae): Polyphyly at all levels and convergent evolution of pollination modes and growth forms. Am. J. Bot. 99(8): 1335-1349.

 

Den Standort des Argentinischen 'Cardón grande' im Botanischen Garten und weitere Informationen zu dieser Pflanze finden Sie mit dem Garden Explorer.

Text und Fotos: Ralf Omlor | 18.12.2023

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